Zeige mir dein Haus und ich sage dir, wer du bist…

„Der Raum ist der dritte Pädagoge“ diese Erkenntnis hatte bereits Loris Malaguzzi, Begründer der Reggiopädagogik, in der Zeit gegen Ende des zweiten Weltkrieges. In einer Zeit, in der viele Völker des europäischen Kontinents vor einem riesigen Scherbenhaufen standen, verstand Malaguzzi die Bedeutung von räumlicher und materieller Ästhetik als Teil eines weiter gefassten Bildungsgedankens, der zugleich Hoffnungsschimmer für eine Gesellschaft war, die sich nach all den Geschehnissen des Krieges neu erfinden musste. Der Gedanke, dass die äußere räumlich-materielle Ästhetik die innere Ästhetik des Menschen formt und beeinflusst, ist naheliegend. Die Idee, dass die gestaltete räumliche Umgebung (building) Auswirkungen auf Bildungsprozesse von Kindern hat, ist daher als logische Konsequenz anzunehmen. Diese Zusammenhänge sind jedoch häufig in Bildungseinrichtungen nicht sichtbar. Viele Schulen entsprechen in ihren räumlichen Konzepten immer noch dem klassischen Verständnis, in dem davon ausgegangen wird, dass Schüler in Klassen eingeteilt und auf Klassenräume aufgeteilt den Großteil der Zeit, die sie dort verbringen, hinter Schreibpulten absitzen. Demnach findet man in diesen Schulgebäuden weder gemütliche Ecken, die zum verweilen und entspannen einladen, noch sinnvolle Bewegungsmöglichkeiten, die das natürlichste Bedürfnis von Kindern ermöglichen und unterstützen. Auch einladende Schülerrestaurants oder andere kulinarische Verköstigungsmöglichkeiten findet man eher selten. Bildungseinrichtungen erinnern in ihrer baulichen Gestaltung häufig eher an Kasernen, als an einladende Lebensräume – eine historische Begründung hierfür liegt nahe. Im Erkenntnisfundus einer zeitgemäßen Pädagogik findet sich das Wissen um die Bedeutung von Räumen und Umgebungen im Zusammenhang mit Bildungsprozessen. Längst sind diese Themen curricular in den Ausbildungsformen angehender Pädagoginnen und Pädagogen verankert. Umso größer ist meine Verwunderung, wenn ich mir die räumlichen Bedingungen und Realitäten so mancher Ausbildungsstätte für angehende Elementarpädagoginnen/-pädagogen und Lehrer/innen ansehe. Der Befund hierzu reicht von großer räumlicher Beengtheit über desolate Räume und Gebäudeteile bis hin zu fehlenden technischen Standards. Die Mängel in basalen Bereichen sind bereits so gravierend, dass Anforderungen wie z.B. gemütliche Ecken, ansprechende Restaurants oder Buffets, schlichtweg einladende Lebensräume, in denen sich Menschen gerne aufhalten, als Luxusprobleme klassifiziert werden müssen. Wie können also angehende Pädagoginnen und Pädagogen für die Bedeutung der räumlichen (Bildungs)Umgebung sensibilisiert werden, wenn ihnen im Laufe ihres Ausbildungsweges keine diesbezüglichen positiven Erfahrungen zur Verfügung stehen? Wie können lern- und bildungsförderliche Raumkonzepte in die pädagogische Praxis gebracht werden, wenn diese im eigenen Erlebnishorizont nicht vorkommen? Meine Beobachtungen der räumlichen Gegebenheiten in Bildungseinrichtungen haben auch offenbart, dass es sehr wohl solche gibt, die über räumlich gute bis hervorragende Voraussetzungen verfügen. Vor allem Fachhochschulen und Universitäten die sich im Zuständigkeitsbereich von Ländern und im Einflussbereich von wirtschaftlichen Interessensvertretern befinden, zählen zu jenen Einrichtungen, die häufig über eine bestens ausgestattete räumliche Infrastruktur verfügen. Hier scheinen finanzielle Investitionen aus öffentlichen (und privaten) Mitteln wesentlich großzügiger zur Verfügung zu stehen, als Investitionen in Ausbildungsstätten für angehende Pädagoginnen und Pädagogen. Ich möchte mit diesem Vergleich nicht den Anschein einer Neiddebatte erwecken. Dennoch scheint mir hier ein Ungleichgewicht gegeben zu sein, dass ich weder verstehen, noch akzeptieren kann. Ich denke, dass es höchst an der Zeit ist für einen Ausgleich zu sorgen und Ausbildungsstätten wie z.B. Pädagogische Hochschulen und/oder Bildungsanstalten für Elementarpädagogik, aber vor allem auch Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen durch bauliche Erneuerungen und Investitionen in die Ausstattung zu Bildungs-, Lern- und Wohlfühlorten zu machen. (den Begriff Bildungsanstalt sollte man dabei auch gleich abreißen!). Denn immerhin werden in diesen Einrichtungen die Grundsteine für (bestenfalls) erfolgreiche Bildungsverläufe gelegt. Es sollte sich bei diesen Institutionen um Treibhäuser der Zukunft handeln, um es mit den Worten des Bildungsjournalisten Reinhard Kahl zu sagen. Wenn wir also möchten, dass Bildung wächst, sprießt und gedeiht, sollte es uns als Gesellschaft das Geld wert sein, mit dem Bauen von geeigneten Treibhäusern zu beginnen.

Birgit Ed(ublog)er(in)

Wann beginnt der Ernst des Lebens?

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In der regionalen Tageszeitung vom 8.9.2017 lese ich folgende Schlagzeile:

„Erster Schultag für Prinz George – Für Prinz George hat der Ernst des Lebens begonnen!“

Noch bevor ich diesen Satz zu Ende gelesen habe, möchte ich rufen: „Upps, Herr Journalist, Vorsicht Falle!“ Und schon wieder ist wer hineingefallen in die selbstgeschriebene Grube!

Wenn für den jungen Prinzen der Ernst des Lebens jetzt beginnt, was war dann vorher? Hat es das Leben bisher nicht ernst gemeint mit George? War sein Dasein nicht ernsthaft? Und was wäre dann das Gegenteil davon?

Im Sinne aller Kinder, die (noch) nicht in die Schule gehen wünsche ich mir, dass der Ernst ihres Lebens nicht vom Schuleintritt abhängt, sondern dass sie bereits von Beginn an ernst gemeint sind und ernst genommen werden! Und zwar in allem, was sie sind und was sie tun! Für alle Kinder, die in die Schule gehen wünsche ich mir, dass sie dort erleben, wie lustvoll, spannend und freudig sich der so genannte „Ernst des Lebens“ anfühlen kann, wie sehr er durchaus mit Lachen und Lebendigkeit verbunden sein kann und dass der „Ernst des Lebens“ mit den richtigen Freunden und Freundinnen, Lehrern und Lehrerinnen der größte Spaß sein kann!

Birgit Ed(ublog)er(in)

Rezeptfreie Pädagogik

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Neulich stellte eine Lehrerin ein Programm vor, das sie in ihrer Volksschulklasse zum „Üben der Empathiefähigkeit“ einsetzt. Es geht dabei um die Empathiefähigkeit der Kinder, nicht der der Lehrer/innen, sei dazu vielleicht ergänzend noch angemerkt! Bei regelmäßiger wöchentlicher Anwendung dieses Programms nach Vorschrift, so die Lehrerin, sei die positive Wirkung und damit der Erfolg erstaunlich. Zudem gebe es die angenehme Nebenwirkung, dass Lehrer/innen mit diesem Programm in die Lage versetzt würden, „bindungsorientiert“ zu arbeiten – was immer das auch heißen mag!?

Als ich diesen Ausführungen zuhörte, formten sich zahlreiche Fragezeichen in meinem Kopf. Der Wunsch nach Rezepten, die eine Anleitung zum erfolgreichen pädagogischen Handeln liefern, ist mir aus dem pädagogischen Umfeld nur allzu gut bekannt. Um wie vieles einfacher wäre unsere Arbeit doch nur, wenn wir für die mannigfaltigen Probleme, die sich täglich vor uns auftun, wirksame Gebrauchsanweisungen hätten! Wie in allen Lebensbereichen fährt die Ratgeberindustrie natürlich gerade auch im pädagogischen Feld satte Profite ein, mit zahlreichen Programmen zur Förderung von diesem und jenem Entwicklungsdefizit, zum Training von erwünschtem Verhalten oder ganz allgemein zur Steigerung der Leistungsbereitschaft und des Leistungsvermögens bei Kindern. All die unterschiedlichen Programme, Rezepte und Gebrauchsanweisungen für Kinder teilen sich meist einige gemeinsame Merkmale: Sie sind von Jedermann und Jederfrau für gutes Geld im Handel erwerbbar, ihre „Aufmachung“ ist meist smart und ansprechend, verpackt in hübschen Schachteln oder gebunden in schicker Buchform und immer häufiger auch im Internet zu finden. Bei richtiger Anwendung versprechen sie garantierten Erfolg und das zumeist in rasantem Tempo. Die Komplexität menschlicher Lebensumstände und die darin liegende Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit derselben scheint für die Anwendung bzw. den prognostizierten Erfolg gar keine Rolle zu spielen. Würde das nämlich der Fall sein, so würde sich das kauftaugliche Zielpublikum massiv einschränken.

Menschen mit Erfahrung und pädagogischer Kompetenz wissen, dass sie sich in ihrem beruflichen Tun besser nicht auf Rezepte verlassen sollten. Sie wissen, dass Pädagogik sich in erster Linie aus dem Zusammenspiel menschlicher Beziehungen gestaltet, die im professionellen Verständnis einem ständigen Reflexionsprozess unterzogen werden müssen. Nur aus diesem Zusammenspiel von (Beziehungs)Erfahrungen und Reflexion können Erkenntnisse generiert werden, die uns in unseren Handlungen und in unseren Kooperationen weiter bringen. Wir können unsere persönliche Verantwortung und unsere persönlichen Anteile in pädagogischen Prozessen also nicht einfach an Programme, Trainings und Rezepte abgeben! Wir sind hier immer auch als Person gemeint, zuständig für Beziehungen und die Resonanzen in diesen. In dieser Betrachtungsweise wird schnell klar, dass wir und die Menschen, mit denen wir in unseren beruflichen Zusammenhängen zu tun haben (Kinder als auch Eltern und Kolleginnen/Kollegen), die „Erfinder“ unserer eigenen Handlungskonzepte sind und sein müssen. Handlungskonzepte, die die jeweilige Individualität der Situationen und der Personen berücksichtigen, Handlungskonzepte, die unsere Beziehungen in den Blick nehmen, Handlungskonzepte, deren Entwicklung alleine schon ein wichtiger Teil des Ganzen darstellt, weil gemeinsame Entwicklungsprozesse die Beteiligung und das Einverständnis aller voraussetzen und gleichzeitig sicher stellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst euch also durch schön verpackte Wunderprogramme nicht zu Nebendarstellern eurer eigenen Zunft machen! Lasst die vielen auf dem freien Markt zu kaufenden Methoden und Materialien nicht eure Geldtaschen leeren. Lasst euch und die euch anvertrauten Kinder nicht von Förderprogrammen durch das Leben dirigieren sondern nehmt den Dirigierstab selbst in die Hand. Nichts ist unkreativer, als sich den Fragen und mitunter den Problemstellungen des Lebens nur mit Anleitungen zu nähern! Kreiert eure eigenen Antworten und Lösungen! Und selbst wenn wir es aus der Schule anders kennen: Glaubt nicht, dass man Themen wie soziale Beziehungen, Empathie oder Ethik in Schulfächer verpacken könnte! Der Philosoph Richard David Precht meinte einmal in einem Interview: „Sobald etwas in ein Schulfach verpackt wird, ist es eigentlich schon tot.“ Man kann also die Grundthemen des menschlichen Zusammenlebens nicht unterrichten oder in Stufenprogrammen trainieren. Man kann diese Themen aber leben – und zwar jeden Tag – im „echten Leben“!

In diesem Sinne wünsche ich Euch viel Freude an einer lebendigen und gelebten Elementarpädagogik!

Birgit Ed(ublog)er(in)

Das bessere Früher…

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Das bessere Früher…

Jeder lebendige Organismus unterliegt ständig einem Wandel, wandelt sich, verwandelt sich, wandelt sich um. Insofern ist die Elementarpädagogik ebenso ein lebendiger Organismus, ein organisches System, das in weitere lebendige Organismen und Systeme eingebettet ist (Gesellschaft, Politik, Welt,…) und damit ebenso einem ständigen Wandel unterliegt. Der Wandel ist also das Natürliche. Obwohl auch wir Menschen lebendige Organismen sind, die sich ständig wandeln (entwickeln) und natürlich ebenso in viele weitere lebendige Organismen eingebettet sind, empfinden wir den Wandel oft als etwas unbequemes, anstrengendes, verunsicherndes, und bevorzugen daher gerne das Bestehen-bleiben als vermeintlich Sicheres, Bekanntes, Gewohntes und Vertrautes. Manchmal neigen wir dazu, uns gegen Entwicklungen zu wehren, weil wir den Verlust des „sicheren Bodens“ befürchten. Wir verharren auf der Stelle, während der Wandel der Zeit voranschreitet. Oft geschieht es dann – schließlich und endlich doch von der Kraft und Dynamik des Wandels mitgenommen in die Gegenwart gespült- dass wir die Vergangenheit idealisieren: „Früher war alles besser!“ sagen wir dann voller Überzeugung. Bereits Karl Valentin hat ironisch gemeint: „Die Zukunft war früher auch besser“.

Mit unserem zuweilen vorhandenen Widerstand, uns dem Fluss der Wandlungen hinzugeben, unterscheiden wir uns maßgeblich vom Wesen jedes Kindes, das sich geradezu in DER Lebensphase rascher und umfassender Wandlungen befindet, das sich also entwickelt in einem Tempo und einer Art, wie wir es in späteren Phasen unseres Mensch-Seins nie mehr erleben werden. In der Frühpädagogik sind wir also täglich mit Kindern konfrontieret, die uns geradezu den ständigen Wandel der Zeit jeweils mit sich selbst vor Augen führen. Insofern liegt vielleicht die Herausforderung für uns Pädagogen und Pädagoginnen darin, uns in Balance zu halten, zwischen dem festen Boden der Beständigkeit und der dynamischen Bewegung des Wandels, und uns dabei für ein besseres Heute zu engagieren, in der Hoffnung, dass dies zu einem besseren Morgen führt.

Was hat Demokratie mit (frühkindlicher) Bildung zu tun?

Demokratie ist

…oder: Das Problem mit „explizit“und„implizit“

„No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.“

…Dieses Zitat stammt aus einer Rede, die Winston Churchill am 11. November 1947 vor dem britischen Unterhaus gehalten hat. Übersetzen könnte man diese Aussage in etwa folgedermaßen: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen, abgesehen von allen anderen Formen, die von Zeit zu Zeit immer wieder ausprobiert wurden…“

(In Zeiten wie diesen, wo der amtierende amerikanische Präsident zu seiner politischen Kontrahentin eine Differenz von über minus 2 Millionen Wählerstimmen aufzuweisen hat, scheint dieser Befund von Churchill aktueller denn je zu sein.)

Dennoch stellt die Demokratie ein wesentliches Merkmal von Staaten dar, die sich über Werte wie Menschenrechte, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Gleichberechtigung ihrer Bürger/innen deklarieren.

Demokratie impliziert demnach sowohl die Einflussnahme und Teilhabe der Bürger/innen in und am gesellschaftlichen und politischen Geschehen, als auch die Bereitschaft der regierenden politischen Akteure, diese Formen der Partizipation zu fördern, zu fordern und entsprechende Konsequenzen daraus anzuerkennen und umzusetzen.

Demokratisches Verständnis oder gar Verhalten ist jedoch keine genetische Präposition, die der Mensch von Geburt an mitbringt. Beides muss erlebt werden um erworben werden zu können. Und zwar bestenfalls von Beginn an. Die Entwicklung von Demokratie hängt eng und unmittelbar mit dem Thema der Bildung zusammen. Begriffe wie Selbstwirksamkeit, Beteiligung, Verantwortung, Neugierde, Kritikfähigkeit oder selbstbewusstes und selbstständiges Denken kommen mir hier in den Sinn. Es sind dies Begriffe, denen man in zeitgemäßen (frühkindlichen) Bildungsansätzen begegnen kann. Ein Bildungsansatz, der diese Begriffe enthält und in der pädagogischen Praxis gelebt wird, bewirkt implizit und explizit Demokratie. Kinder lernen an Vorbildern höchst effizient, daher ist es besonders wichtig, dass Begriffe nicht nur die Seiten der pädagogischen Konzeptionen schmücken, wunderbar klingende Alltagsphrasen darstellen oder in politischen Sonntagsreden den Anschein von Bedeutungsvoll erwecken sollen. Begriffe müssen zunächst von den Erwachsenen durch Vorleben befüllt werden, um für Kinder glaubwürdig und nachvollziehbar zu sein.

Doch wie sieht es mit diesem expliziten Vorleben von demokratischem Verständnis und demokratischen Verhaltensweisen in unseren Bildungseinrichtungen in der Praxis aus?

„Ein wichtiges Merkmal von Demokratien ist die Anerkennung von Grundrechten.“ So lautet eine häufig vorkommende Aussage, die in Definitionen über Demokratie zu finden ist.

Wie sieht es mit der Anerkennung der Kinderrechte in unseren Bildungseinrichtungen aus? Sind diese überhaupt als „Grundrechte“ bekannt und im Bewusstsein der Erwachsenen präsent? Wie verhält es sich mit der UN -Konvention über die Rechte behinderter Menschen? Demokratie bedeutet Mitbestimmung und Mitentscheidung durch das Volk. Die Regierenden regieren also im Auftrag des Volkes. Wie sehen die Möglichkeiten zur Mitbestimmung und Mitentscheidung durch Kinder in unseren Bildungseinrichtungen aus? Lassen hierarchisch organisierte Schulstrukturen, in denen die Macht der Notengebung ein wesentliches Erziehungsinstrument darstellt, echte Mitbestimmung und Mitentscheidung von Kindern zu? Wo finden Kinder echte Möglichkeiten, sich an Themen und Prozessen die sie selbst betreffen, zu beteiligen? Wie sieht es mit der Chancengerechtigkeit aus in einem Schulsystem, das immer noch durch die frühe Selektion von Kindern das Trennende vor das Verbindende stellt? Wie verhält es sich mit den Erwachsenen, die in solchen Systemen Kraft der ihnen zugeteilten hierarchisch bedingten Machtposition ein anderes als demokratisch motiviertes Selbstverständnis gegenüber Kindern und Jugendlichen leben? Wie viel Kritik verträgt so ein Bildungssystem und wie reagiert es auf Kritik? Über welche Fähigkeiten und Möglichkeiten zur selbstkritischen Auseinandersetzung verfügen Pädagoginnen und Pädagogen in unseren Bildungseinrichtungen? Wie frei sind Kinder in unserer Gesellschaft wirklich?

Das junge Kind mit seinem „Anfängergeist“ macht sich durch seine Wahrnehmungen und seine Erfahrungen ein Bild von der Welt und ein Bild von sich in dieser Welt.

Die Widersprüchlichkeit, die sich häufig zwischen expliziten Vorgaben und implizitem Vorleben zeigt, stellt meines Erachtens ein veritables (pädagogisches) Problem dar, denn Vorgaben sind weit weniger wirksam als Vorleben. Kinder und Jugendliche bemerken sehr schnell, wenn Erwachsene vorgeben, etwas zu tun und sich ihr Vorleben dazu aber anders verhält. In undemokratischen Beziehungen betrachten Erwachsene es durchaus legitim, Kindern und Jugendlichen zwar Vorgaben zu machen, ihnen das entsprechende Vorbild aber schuldig zu bleiben. Auf diese Weise werden Erwachsene für junge Menschen immer unglaubwürdiger. Kulturelle Grunderfahrungen im Umgang mit Demokratie sind auf diese Weise für Kinder und Jugendliche nicht mehr als durchgängiges Prinzip erfahrbar und können somit auch nicht verinnerlicht werden. Aus Orientierung wird somit Desorientierung. Wenn ich nicht erlebe, dass es AUF MICH ankommt, dass ich selbst ein Stück weit Konstrukteur meiner Wirklichkeit bin, wünsche ich mir vielleicht jemanden, der das für mich macht. Der Wunsch nach dem „starken Macher“ ist Ausdruck einer zunehmenden Unmündigkeit in der Gesellschaft. Menschen, die Mitbestimmung, Mitgestaltung und damit Mitverantwortung nicht als vorausgesetzte Fähigkeiten für ein demokratisches Denken und Handeln in ihrem Selbstkonzept verankert haben, bleiben unmündig und damit undemokratisch. Und so bedingt sich Demokratie aus zwei Perspektiven – jener der politischen Verantwortungsträger/innen, die in ihrem Wirken in einer Demokratie auf demokratiefähige Menschen angewiesen sind und jene der einzelnen Menschen, die erst durch Bildungserfahrungen demokratiefähig werden, bei denen das explizit gesagte mit dem Implizit erlebten übereinstimmt.

Daher beginnt Demokratie in den Kinderschuhen.

Birgit Ed(ublog)er(in)

 

Weihnachten und das Kind in der Krippe als Retter der Welt

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Das Kind in der Krippe steht im Zentrum der weihnachtlichen Botschaft und diesem Kind wird die Rettung der Welt zugesprochen. Sosehr dieses Kind in der Krippe bis heute dazu benützt wird Nostalgie zu erzeugen und an unsere Gefühle des Kind-seins zu erinnern um damit unter anderem gutes Geld zu machen, sosehr ist die Welt von dieser weihnachtlichen Botschaft entfernt, in der ein Kind in seinem kindlichen Sein das Maß aller Menschlichkeit darstellt.

Kinder betreten diese Welt als freundliche und offene Geschöpfe, die sich zunächst staunend und offen allem zuwenden, was ihnen begegnet. Sie treten in Beziehung mit der Welt und entwickeln Empathie und Gefühle für Geschöpfe und Dinge. Sie kommen „in friedlicher Mission“ auf diese Welt.

Erwachsene hingegen betrachten Kinder nach wie vor als „noch-nicht-fertige Menschen“. Das Maß für den „fertigen Menschen“ ist immer noch der erwachsene Mensch, der durch scheinbar notwendige Interventionen wie Erziehung, Förderung, (Aus)Bildung, Drill oder Training zum leistungsfähigen, angepassten und damit nützlichen Mitglied der Gesellschaft gemacht wurde. Das Ergebnis dieses Verständnisses von „Menschwerdung“ macht die Welt nicht gerade zu einem besseren und friedlicheren Ort.

Weihnachten sagt uns, dass Kinder in Krippen unsere Vorbilder sein sollten und dass wir Wesentliches über das Mensch-sein von ihnen lernen können, da junge Kinder noch sehr nahe an der Natur des menschlichen Ursprungs sind. Eine Betrachtung aus dieser Perspektive legt den Schluss nahe, dass nicht das junge Kind durch die Orientierung am Erwachsenen erst zum „vollwertigen Menschen“ wird, sondern dass der Erwachsene erst durch die Orientierung am jungen Kind seine Verbindung zur Wurzel, zum Ursprung des Mensch-seins erhalten kann und damit erst „menschlich“ bleiben kann.

Unter diesem Aspekt werden Kinderkrippen plötzlich Entwicklungsorte für Erwachsene, in dem die Bedürfnisse der Kinder wahrgenommen und erkannt werden könnten, indem diesen Bedürfnissen entsprochen werden könnte, indem die einzigartige Persönlichkeit und Geschichte jedes Kindes respektiert werden könnte und indem Erwachsene erkennen könnten, dass die basalen Bedürfnisse der kleinen Kinder häufig auch die eigenen basalen Bedürfnisse spiegeln, die im hektischen und schonungslosen geschäftigen Alltag oft keine Berechtigung mehr erfahren und keinen Platz mehr finden.

So gewinnt das „Kind in der Krippe“ eine neue Bedeutung, deren Bezug zu den Themen unserer Zeit aktueller ist denn je.

Ich wünsche allen Blogleserinnen und Bloglesern frohe Weihnachten und hoffentlich viele interessante Beiträge im neuen Jahr!

Birgit Ed(ublog)er(in)

Immer Stress mit den Eltern!

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In meinen Gesprächen mit Pädagoginnen und Pädagogen aus unterschiedlichen Bildungseinrichtungen kommen häufig die Schwierigkeiten mit den Eltern der anvertrauten Kinder zur Sprache. Das Fazit zu diesem Thema lautet dann oft: „Die Arbeit mit den Kindern wäre ja ganz schön, wenn nur die anstrengenden Eltern nicht wären!“ In Anbetracht der Tatsache, dass wir um den maßgeblichen Einfluss von Familiensystemen auf die Kinder wissen und aus diesem Grund davon ausgehen müssen, dass die Einflussnahme von pädagogischen Systemen auf die familiäre Lebenswelt der Kinder zunächst nur sehr bedingt möglich ist, müssen wir uns Bewusst sein, dass diese beschränkten Möglichkeiten nur auf der Basis von Vertrauen, Kooperation und gegenseitiger Wertschätzung gelingen können. In diesem Zusammenhang finde ich es spannend die Frage zu stellen, mit welchen Eltern wir es in unserer Gesellschaft und damit auch in unseren pädagogischen Einrichtungen heute zu tun haben. Wie erleben sich Eltern in ihrer Rolle? Welche persönlichen Ansprüche und Bedürfnisse haben sie? Welche Erziehungskonzepte verfolgen sie und auf welcher Basis haben sie diese Konzepte entwickelt? Welche Zukunft sehen sie für ihre Kinder?

Nach wie vor gilt der Grundsatz für Pädagoginnen und Pädagogen, den Eltern im positiven Sinne zu unterstellen, dass diese „nur das Beste für ihre Kinder“ wollen. Was aber verstehen Eltern darunter? Was ist das jeweils Beste, das Eltern wollen?

Nicht nur die Kindheit, sondern auch die Elternschaft ist von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen unmittelbar und mittelbar beeinflusst und verändert sich daher über Generationen von Eltern hinweg ständig. Das Bild von Männern und Frauen, die vielfältigeren Formen von Familie sowie deren generelle politische und gesellschaftliche Wertigkeit, neue Erfordernisse der Arbeitswelt, die kulturelle Durchmischung der Bevölkerungen, veränderte Relationen der Generationen untereinander und viele weitere Einflussfaktoren wirken sich darauf aus, wie Elternschaft heute definiert wird. Einhergehend mit diesen Faktoren steht die biografische Entwicklung der Eltern von heute im Zentrum dieses Wirkungsnetzwerks, denn die Rolle, die Eltern für sich konzipieren, leitet sich in erster Linie aus deren biografischen Erfahrungen im Hinblick auf Elternschaft und Kindererziehung ab.

In ihrem Buch „Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden“ mit dem besorgniserregenden Untertitel „Warum wir nicht auf die nächste Generation zählen können“ beschreibt die Autorin Martina Leibovici-Mühlberger Erfahrungen mit Eltern, Kindern und Jugendlichen aus ihrer psychotherapeutischen Praxis. Der Befund, den die Ärztin, Psychotherapeutin und Mutter von vier Kindern postuliert, ist ernüchternd. Demnach erlebt sie im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen, die sich durch ihr Verhalten massiv auffällig zeigen, zunehmend Eltern, die selbst nicht über die Bedürfnisregulation eines vierjährigen Kindes hinausgewachsen sind. Sie berichtet dabei von Eltern, die „verliebt sind in ihre eigene permanente Selbstdarstellung“ und aus diesem Grund nicht in der Lage sind, die altersadäquaten Bedürfnisse ihres Nachwuchses wahr zu nehmen geschweige denn diesen Bedürfnissen gerecht zu werden und in diesem Sinne als Vorbilder zu agieren, die dem Kind Sicherheit und verlässliche Beziehungen anbieten, ihm Orientierung und einen Rahmen von altersadäquaten Möglichkeiten und Grenzen geben. Kinder werden so häufig selbst zum Mittel für den narzistisch motivierten Zweck ihrer Eltern. Die Entwicklung vom Kind zu einem sozialen, empathischen, verantwortungsbewussten und selbstbewussten Menschen, der sein Leben zunehmend selbstaktiv und selbstbestimmt unter Anwendung der hierfür notwendigen Kompetenzen meistern kann, ist demnach gefährdet. Die Autorin weist ausdrücklich darauf hin, dass die Conclusio dieses Befundes nicht lautet „Früher war alles besser, die Eltern von heute sind einfach unfähig“. Es geht ihr laut eigener Aussage „weder um Schwarzmalerei, noch um notorisches Schlechtreden“. Vielmehr regt sie in ihrem Plädoyer dazu an, die Signale, die uns Kinder unmittelbar als Antwort auf unser Erziehungsverhalten geben, wahr zu nehmen, ernst zu nehmen, zu reflektieren und vor allem –darauf zu reagieren. Sie weist darauf hin, dass Erziehung des Nachwuchses immer eingebettet in ein Gesamtsystem der vorherrschenden Gesellschaft ist und somit nie nur in der Verantwortung von einzelnen Akteuren, sondern immer in der Verantwortung von vielen Akteuren in unterschiedlichen Zuständigkeiten.

Was hat das alles nun mit uns Pädagoginnen und Pädagogen zu tun, die wir in unseren Einrichtungen Stress mit Eltern haben? (Und bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass wir häufig Stress mit jenen Eltern haben, deren Kinder uns ebenso Stress verursachen.) Wie zu Beginn schon erwähnt ist unser Einflussbereich in Familiensysteme enden wollend, und das ist aus mehreren Gründen gut so. Ich denke jedoch, dass es für Pädagoginnen und Pädagogen zunehmend notwendig sein wird, Zeit und Energie in die Bildung und die sorgfältige Ausdifferenzierung eines eigenen Standpunktes zu investieren. Die Welt war noch nie nur Schwarz oder Weiß, schon gar nicht, wenn es um komplexe Themen wir Erziehung oder Bildung, kurzum um menschliches Zusammenleben und um gesellschaftliche Entwicklungen geht. Ich stelle fest, dass viele Pädagoginnen und Pädagogen Schwierigkeiten haben ihre eigene Position in komplexen Fragestellungen von Erziehung, Bildung und Gesellschaftsentwicklung klar und reflektiert zum Ausdruck zu bringen. Häufig zeigt sich, dass sie damit einhergehenden Herausforderungen desorientiert und hilflos gegenüber stehen. Eltern und Kinder, die Schwierigkeiten bereiten nötigen uns als Pädagogin/Pädagogen geradezu, der oft lange ignorierten Anforderung nachzukommen und die eigene Positionierung und Meinungsbildung im Hinblick auf schwierige Fragestellungen engagiert anzugehen. Vielleicht kratzen sie dabei sogar manchmal an wunden Punkten in Bezug auf die eigene Elternrolle.

Um eine Idee davon zu geben, von welchen Leitgedanken die Auseinandersetzung und die Bildung eines jeweils eigenen Standpunktes getragen werden könnte, entleihe ich mir einige Anregungen aus dem genannten Buch von Martina Leibovici-Mühlberger:

(Zitate aus: Leibovici-Mühlberger, Martina, 2016, S. 152 – 155)

„[…]Gebt den Kindern, was sie wirklich brauchen und drückt euch nicht davor, sie zu erziehen. Kinder brauchen sorgsam und respektvoll gesetzte Grenzen. Genauso wie sie Eltern brauchen, die wirklich für sie da sind. Vergesst nicht: Beziehung kann man nicht kaufen, man muss sie leben, in vielen tausenden kleinen Momenten. Nicht im Geschenkehaufen unter dem Christbaum, nicht im großzügigen Taschengeld, nicht im mühsam erwirtschafteten Luxusgut aus der Technikkiste der Unterhaltungsindustrie oder in endlosem Online- Shopping werdet ihr Beziehung finden können. Es ist der kleine, unspektakuläre Moment, das gemeinsam Geteilte und Erlebte, das Beziehung begründet[….]“ „[….] Erfüllt also nicht die Wünsche eurer Kinder, sondern in erster Linie ihre Bedürfnisse![…]

[…]Zeigt ihnen also Grenzen, die sie schützen und einen inneren Raum markieren, den sie selbst verwalten können, um sich zu erproben. Bietet Kindern einen „artgerechten“ und nicht einen „konsumgerechten“ Lebensraum. Einen, der sich mit all den Sinnen erfahren lässt, mit denen sie geboren werden und die sich entwickeln sollen[…]

[…] Setzt euch dafür ein, dass Kindergärten Orte des sozialen Lernens der Gemeinschaft sind und darin höchste Qualitätskriterien erfüllen. Fordert laut, dass Schule ein wirklicher Ort der Bildung und nicht nur der Ausbildung ist. Bildung im alten humanistischen Sinn bildet und formt die Seele. Bildung hilft, die Deformierungen und Störungen der Seele zu beseitigen und – das ist wohl die Hauptleistung der Bildung –prophylaktisch deren Verfall vorzubeugen. Bildung soll der Seele starke Bilder zuführen, zum Handeln anleiten und Orientierung geben, damit sich der Mensch auf seinem Lebensweg nicht in der Flut von Bildern oder Reizen verliert. […]

[…] Stellt eure Forderungen an die Politik und hört nicht auf damit laut zu sein, denn es steht eine ganze Menge auf dem Spiel. Die Politik muss sich endlich damit befassen, wie diese ach so erfolgreiche Konsumgesellschaft mit ihren Kindern, ja mit dem Abschnitt Kindheit an und für sich, umgeht und wie sich das aus dem Blickwinkel eines Kindes wohl anfühlen mag.[…]

[…]Fordert von all jenen, die aus dem Elfenbeinturm heraus eine „leistungsstarke Zukunftsgeneration“ beschwören, dass sie die Kinder endlich ernst nehmen, nämlich als Kinder, und sie als solche vertreten. Ein Kinderministerium, dass sich mit der Zuträglichkeitsprüfung unserer gesellschaftlichen Umwelt und der Übersetzung kindlicher Bedürfnisse in die Alltagswelt beschäftigt, wäre ein guter Anfang.[…]

Wenn wir als Pädagoginnen und Pädagogen auf Basis unseres Grundlagenwissens, unserer Erfahrungen und unserer Erkenntnisse zu einer klaren Positionierung im Sinne der genannten Forderungen für die Kinder gelangen und Eltern dazu einladen können im Sinne ihrer Kinder und in ihrem eigenen Interesse diese Position mit uns zu Teilen, so bewirkt dieses Teilen eine Vervielfachung von gemeinsamer Stärke und damit verbundenen Chancen im Hinblick auf die Zukunft, die nicht nur die der Kinder, sondern auch unsere eigene sein wird und in der wir, wider berechtigter Befürchtungen, hoffentlich doch auf die nächste Generation zählen können.

Birgit Ed(ublog)er(in)

„Was wäre, wenn….?“ – oder die 11. November-Miniatur

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Was wäre, wenn wir die Welt auf den Kopf stellen? Wenn wir einfach mal nicht tun, was wir schon immer tun? Was wäre, wenn wir die Tradition einmal boykottieren würden und uns anders verhalten, als man es von uns erwartet? Was wäre, wenn wir uns einmal nicht dem Druck beugen würden und etwas Neues erfinden anstatt das Leere, nicht mehr gefüllte weiter zu führen? Was wäre, wenn wir einfach mal sagen würden „Keine Lust!“ Was wäre, wenn wir uns erlauben würden, die Frage zu stellen, ob etwas noch stimmig ist? Was wäre, wenn wir die Revolution in Miniatur erproben?

Dann,… rabimmelrabammel, ja dann würden die Lichter ausgehen! Und wir würden den Laternenumzug, das Lichterfest oder wie wir es sonst noch nennen einfach mal ausfallen lassen!

Es sei denn, wir würden diesen 11. November, dieses Fest des heiligen Martins mit neuem Sinn, mit neuem Inhalt füllen! Teilen,…mit denen, die aus ihrer Heimat flüchten mussten und alles zurückgelassen haben, teilen,…mit denen, die unsere Solidarität benötigen, teilen, …uns mitteilen, etwas zu sagen haben, teilen,…verteilen,…gerecht verteilen…

In diesem Sinne teile ich meine Gedanken mit euch!

Birgit Ed(ublog)er(in)

Kinderrechte – Schutz für Kinder!?

Kinder sind seit Beginn der Menschheitsgeschichte besonderen Gefahren ausgesetzt. Auch heute noch sind Kinder jene Bevölkerungsgruppe, die in vielerlei Hinsicht gefährdet ist. Dabei sind es nicht nur die offensichtlichen und landläufig bekannten Gefahren wie der zunehmende Straßenverkehr, Gewalt in der Familie, Gefahren durch Misshandlung und Missbrauch, Gefahren durch neue Medien wie Internet und Fernsehen oder Gefahren durch Kriege und Terror. Viele Gefahren für Kinder sind viel subtiler und lauern dort, wo man sie nicht vermuten würde und das Bewusstsein darüber ist auf gesellschaftlicher Ebene oft nicht vorhanden. Ich denke in diesem Zusammenhang an Erwachsene, die Kinder diskriminieren, in dem sie ihre Rechte nicht anerkennen und ihre Bedürfnisse nicht respektieren. Diese Erwachsenen findet man unter Politikerinnen und Politikern gleichermaßen wie unter Pädagoginnen und Pädagogen. Auch Eltern können hier genannt werden und natürlich alle anderen Erwachsenen.

Dass am 20. Jänner 2011 das „Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern“ im Österreichischen Nationalrat beschlossen wurde, wissen nur die wenigsten Personen in diesem Land. Immerhin sind in diesem Gesetz bescheidene 7 Artikel der insgesamt 54 Artikel langen UN Kinderrechtskonvention in den Verfassungsrang, also in die hierzulande höchste Gesetzesebene, gehoben worden.

Das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern enthält allgemeine Formulierungen, die im Wesentlichen auf das Recht jedes Kindes auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit, den Schutz vor jeder Art von Gewalt in der Erziehung sowie das Recht und die Möglichkeit der Teilhabe JEDES KINDES an Bildung, am sozialen und kulturellen Leben einer Gesellschaft beschreiben. Auch das Recht auf eine eigene und freie Meinung sowie der Einbezug der Meinung des Kindes bei Angelegenheiten die es betreffen, werden erwähnt. Soweit so gut. Auf den ersten Blick sollten die geschriebenen Deklarationen mit den Grundsätzen eines demokratischen Staatssystems kompatibel sein. Die genauere Betrachtung ergibt, dass sich gerade in unserem Bildungssystem zahlreiche Widersprüche zu den Forderungen der Kinderrechtgesetze finden. Dass es im österreichischen Schulsystem seit Jahren nicht gelingen will die erforderlichen und notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine echte inklusive Schule zu schaffen, ist inzwischen landläufig bekannt und wird in regelmäßigen Intervallen von der Medienlandschaft hierzulande dankbar als Lückenfüller für „mediale Durststrecken“ verwendet. Dabei verkürzt sich die mediale Debatte dann auf die Thematik von Kindern mit Behinderungen und die beständigen Argumentationslinien zwischen „Das funktioniert nicht“ und „Das funktioniert sehr wohl“ und von Seiten der politisch Verantwortlichen kommt dann obendrauf wie das Amen im Gebet das Argument, dass man mit der Abschaffung der Sonderschule (Aussonderungsschule) die Wahlfreiheit der Eltern in Gefahr sehen würde, wobei die „Wahlfreiheit“ im Zusammenhang mit Schule ja an und für sich eine Unvereinbarkeit darstellt. Wie viel Wahlfreiheit haben Schüler bei der Wahl der Schule, die sie gerne besuchen würden? Bereits für den Volksschüler oder die Volksschülerin endet die Wahlfreiheit am Zaun des Schulsprengels, dem sie oder er zugewiesen ist. Ganz zu schweigen von den riesigen Mauern, die der Volksschüler oder die Volksschülerin vier Jahre später vorfinden wird, wenn es darum geht in ein Gymnasium oder auch nur in die Mittelschule ihrer Wahl zu wechseln. Soviel zur Wahlfreiheit, die unser Schulsystem bietet.

Der Begriff der „Inklusion“ würde vieles umfassen, was die Rechte der Kinder explizit definieren. Wenn man von Inklusion im besten Sinne des Wortes spricht geht es längst nicht mehr nur um die Belange von Menschen mit Behinderung. Inklusion wird als Grundhaltung definiert, auf deren Basis allen Menschen in einer Gesellschaft das Recht auf Unterschiedlichkeit zugesprochen wird. Dementsprechend müsste in einem inklusiven Bildungssystem dieser Unterschiedlichkeit ALLER Kinder Rechnung getragen werden. In letzter Konsequenz würde dies das Ende eines über die Maßen normierten Bildungssystems bedeuten. Aktuell wird der Begriff der Inklusion in unserem Bildungssystem auf verschiedene Arten und Weisen in den curricularen Grundlagen verankert, gleichzeitig werden aber immer mehr Normvorgaben geschaffen – ein Paradoxon an sich.

Kehren wir nach diesem kleinen Exkurs wieder zur Frage nach der Wirkung und der Bedeutung der Kinderrechte zum Schutz der Kinder und zur Sicherung ihrer verbrieften Rechte zurück. Auch wenn es den meisten Kindern hierzulande um vieles besser geht, als Kindern, die das Pech hatten an einem anderen Ort auf diesem Planeten zur Welt zu kommen, so ist doch nicht alles, was Kinder in unserer Gesellschaft und speziell auch in Institutionen, die explizit im Auftrag der Kinderrechte stehen, zu akzeptieren. Kinder sind in institutionalisierten Bildungseinrichtungen mittlerweile selten direkter körperlicher Gewalt im Sinne von „Erziehungsmethoden“ ausgesetzt. Die psychische Gewalt, die Kinder bisweilen erfahren müssen, ist allerdings weit verbreitet und wird nur selten für das Umfeld des Kindes sichtbar. So bringen zum Beispiel Studien über Kinderkrippen in Deutschland als auch in Österreich zutage, dass in einem Großteil dieser Einrichtungen eine professionelle Eingewöhnung nach anerkannten Konzepten nicht praktiziert wird. Was es für unter dreijährige Kinder bedeutet, die Trennung von primären Bezugspersonen ohne adäquate Übergänge und vor allem ohne die Möglichkeit des Aufbaus von verlässlichen alternativen Bindungen zu anderen Bezugspersonen in der Einrichtung, in der das Kind verbleiben soll, vollziehen zu müssen, kann man nur mit extremer psychischer Gewalt bezeichnen. Kindern werden hier Stresssituationen zugemutet, die sie kaum bewältigen können. Die möglichen Traumata, können für den weiteren Entwicklungsverlauf dieser Kinder schwerwiegend sein. Psychische Gewalt in Einrichtungen für Kinder kann vielfältige Gesichter haben. Vom täglichen Bloßstellen durch die unsensible Bemerkung eines Erwachsenen über die Nicht-Beachtung elementarer kindlicher Bedürfnisse aufgrund von „ungünstigen“ Personalsituationen oder schlichtweg aufgrund von unausgebildetem oder einfach nicht geeignetem Personal in Bildungseinrichtungen reicht der Bogen bis hin zu systemisch und systematisch verankerten Strukturen, die die gesetzlich definierten Rechte von Kindern konterkarieren, wie weiter oben am Beispiel der fehlenden Inklusion bereits erläutert wurde. Die „wirtschaftliche Ausbeutung“ von Kindern erfolgt in den sogenannten „westlichen Ländern“ dieser Erde weniger dadurch, dass Kinder als billige Arbeitskräfte herangezogen werden. Wenn Kinder allerdings in einem hohen Maß, systematisiert durch die Mittel und Möglichkeiten geradezu aggressiver Marketingstrategien, zu unmündigen und abhängigen Konsumenten gemacht werden, so ist das für mich eine Art der wirtschaftlichen Ausbeutung, gekoppelt mit einem Hinführen zu Abhängigkeiten und auch das Thema der Sucht taucht in diesem Kontext mit auf.

Gerade weil in unserer Gesellschaft die Sicherheit sowie die Rechte der Kinder vordergründig in einem hohen Maße vorhanden und gesichert zu sein scheinen, ist es unser Auftrag, den Hintergrund zu beleuchten und einen kritischen Blick auf die Realität zu werfen. Pädagoginnen und Pädagogen sollten sich als Lobbyisten der Kinder sowie der Kindheit verstehen und sich selbst gegenüber wachsam bleiben. Selbst in unserem Rechtsstaat haben Kinder nur dort Rechte, wo Erwachsene diese Rechte kennen, respektieren und danach handeln – und sich im Namen der Kinder dafür einsetzten – nicht nur am Tag der Kinderrechte!

Website der UNICEF https://www.unicef.ch/de/aktuell/news/internationaler-tag-der-kinderrechte

UNICEF stellt am Internationalen Tag der Kinderrechte, dem 20. November, versteckte Gewalt und Missbrauch an Kindern ins Rampenlicht. Denn Millionen von Kindern in allen Ländern und durch alle sozialen Schichten sind Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Mehrheitlich bleiben diese Übergriffe verborgen. Helfen Sie mit, das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Birgit Ed(ublogg)er(in)

„…aus Klein wird Groß“ oder: Die Welt beginnt beim Kind

Liebe Blogleserinnen und Blogleser,

die Überschrift meines ersten Blogbeitrages sagt bereits viel über mein Anliegen aus, dem ich diesen Blog widmen möchte. Seit über 25 Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema „Bildung in der frühen Kindheit“ und das Thema beschäftigt mich. Nun habe ich mich entschlossen, die Möglichkeiten eines Blogs zu nützen und mich auf diese Weise einer interessierten Gruppe von Menschen mitzuteilen und mich mit ihnen auszutauschen. Geteilte Gedanken, geteiltes Wissen und geteilte Informationen ergeben ein Mehr von allem und ich glaube, dass das Teilen der eigenen „Schätze“ mit anderen dazu hilft, sich gegenseitig zu unterstützen.

Die Frühpädagogik in Form von institutionalisierten Einrichtungen wie Kindergärten, Kinderkrippen und anderen Einrichtungen zur Betreuung von Kindern steht seit einigen Jahren scheinbar im Zentrum gesellschaftspolitischer Diskurse. Es werden dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Erfordernisse von Wirtschaft und Arbeitsmarkt ebenso thematisiert wie die kompensatorische Wirkung von frühen Fördermaßnahmen im Hinblick auf sprachliche, motorische, mathematische, soziale und sonstige Defizite von Kindern. Und diese Argumentationslinie wird dann noch von der These der Chancengerechtigkeit durch Bildung sowie der Aussage, dass Bildung das höchste Gut moderner Gesellschaften sei, umrahmt. Soweit so gut – auch ich habe mich in den letzten Jahren den sich ändernden Bedingungen und Erfordernissen, die gesellschaftliche Veränderungen in vielen Bereichen mit sich bringen, nicht verschlossen. Die Aufgabe der Politik ist es durchaus, sich den aktuellen Entwicklungen zu widmen und Antworten auf Fragen zu finden, die sich in dynamischen Entwicklungsfeldern fortlaufend stellen. Auch Kinder sind von den Entwicklungen, die auf vielen Ebenen unserer „globalisierten Weltgemeinschaft“ stattfinden, betroffen und beeinflusst. Und Kinder sind diejenigen in unseren Gesellschaften, die heute noch nicht mitbestimmen können, was ihr Morgen für sie bereithält. Dieses Morgen der Kinder wird nämlich heute von uns Erwachsenen gestaltet und so mancher Akteur legt dabei Handlungs- und Denkweisen zutage, als gäbe es kein Morgen.

Dabei sind Kinder dem menschlichen Ursprung näher, als Erwachsene, die sich meistens bereits über weite Distanzen von diesem Ursprung des menschlichen Seins entfernt haben. Kinder könnten uns in ihrem Anderssein in vielen Bereichen zu einem neuen Verständnis verhelfen, wenn wir sie in diesem Anderssein wirklich respektieren und anerkennen würden. Oft wird betont, dass Kindheit noch nie im Verlauf der menschlichen Geschichte so geschützt und glücklich wie heute war. Für wie viele Kinder auf der Welt gilt das? Und können wir wirklich so sicher sein, dass sich Kinder auch in sogenannten westlichen Gesellschaften geschützt und glücklich fühlen? Wie kommen wir zu dieser Aussage? Ist es nicht einfach so, dass sich die Gefahren und Bedrohungen für die Kindheit der heutigen Kinder nicht nur verbessert, sondern zum Teil einfach verändert haben? Sind Kinder, die dem strengen Diktat der Leistungssteigerung, der Effizienzoptimierung oder dem Konsumzwang auch in den vermeintlich geschützten Räumen der Kindheit ausgeliefert sind, glücklich?

Solche Fragen beschäftigen mich und ich möchte mich daher in meinem nächsten Blogbeitrag dem Thema der „Kinderbildungseinrichtungen als Schutzräume für Kinder“ widmen. Ich gebe zu, dass meine Gedanken nicht gerade eine zuversichtlich-positive Perspektive auf die Gegenwart und die Zukunft nachzeichnen. Um diesen Beitrag mit meinem unerschütterlichen Glauben an die Kraft des Guten und Menschlichen enden zu lassen – und diesen Glauben hüte ich wie einen Schatz und bin nicht bereit ihn aufzugeben – möchte ich mir ein Zitat ausleihen, das ich letztens in einem Heftchen von GEA gefunden habe:

Jedes Kind ist ein neues Wesen, ein potenzieller Prophet… Wer sind wir, dass wir sagen könnten, es gäbe keine Hoffnung mehr.

Mit Sicherheit werden wir uns selbst ausrotten, falls wir unser Verhalten nicht befriedigender gestalten. Doch – wie wir die Welt erfahren haben, so handeln wir. Wir sind nicht einmal fähig, unser Verhalten am Rande des Abgrunds adäquat zu bedenken. Doch – wir bedenken weniger als wir wissen; wir wissen weniger als wir lieben; wir lieben sehr viel weniger als es gibt. Um genau soviel sind wir weniger als wir sind. Jedes Kind ist ein neues Wesen, ein potentieller Prophet, gestürzt in die äußere Dunkelheit. Wer sind wir, dass wir sagen könnten, es gäbe keine Hoffnung mehr.
(Ronald D. Laing, Phänomenologie der Erfahrung, Suhrkamp Verlag)

Birgit Ed(ublog)er(in)