…über eine Pädagogik des Staunens

Seit der Erfindung des Begriffes „Kompetenzen“ ist die Pädagogik hauptsächlich kompetenzorientiert. Was genau damit gemeint ist, bleibt bei eingehender Betrachtung weitgehend unklar. Alles, was früher als Fähigkeit, Fertigkeit oder einfach nur als vermeintlich objektive oder auch subjektive Zielvorstellung der pädagogischen Lehr- und Leistungspläne bezeichnet und formuliert wurde, ist neuerdings eine Kompetenz. Und so wird die Menschheit nun seit geraumer Zeit immer kompetenter.

Was ich unter all dieser Fülle von pädagogisch wertvollen Kompetenzen vermisse ist die Kompetenz des Staunens. „Staunen ist der erste Grund der Philosophie“, so könnte man ein Zitat von Aristoteles übersetzten. Wo werden Kinder in unseren Bildungsinstitutionen zum Staunen eingeladen? Und ich meine damit nicht den einen oder anderen effektvollen Hokuspokus im Physik- oder Chemieunterricht. Wo finden Kinder in unseren Bildungseinrichtungen Umgebungen vor, die sie zum Staunen und Entdecken auffordern und wo sind die Erwachsenen, die sie dabei begleiten und ihnen ihre Fragen nicht unachtsam vorwegnehmen? Natürlich müssen Pädagoginnen und Pädagogen zunächst selbst Meister im Staunen sein, bevor sie sich in dieser hohen Kunst mit Kindern messen können, die ihnen darin naturgemäß einiges voraushaben, weil sie das Staunen bestenfalls noch nicht verloren haben.

„Ich weiß, dass ich nicht weiß“, dieses geflügelte Wort nach Cicero könnte ein guter Anfang sein, sich wieder in die Kunst des Staunens einzuüben. So gesehen erfordert Staunen zunächst einmal so etwas wie Inkompetenz auf hohem Niveau. Was wir in den pädagogischen Berufsfeldern doch nicht alles glauben zu wissen! Wir wissen, was Kinder lernen müssen, und zu welchem Zeitpunkt sie das lernen müssen, wissen wir auch noch. Wir wissen, welche Schwächen und Defizite Kinder haben, wir wissen, was Eltern alles falsch machen, und was sie richtiger machen müssten, wir wissen, wir wissen, wir wissen! Und dabei vergessen wir ganz auf eine weitere Erkenntnis, nämlich dass gerade in unserer Disziplin das Wissen von Heute mitunter der Irrtum von morgen sein kann.

Vielleicht würde es unserer Gesellschaft gut tun, von der Wissensgesellschaft ein bisschen mehr zu einer Staunensgesellschaft zu werden. Vielleicht würde das vermeintliche Selbstverständliche dann nicht mehr so selbstverständlich sein und würde uns dazu auffordern, dem Verstehen auf die Spur zu kommen, uns Wissen zu erarbeiten, anstatt es einfach im fast-food-Modus zu konsumieren.

Und hier schließe ich mit einem letzten Zitat nach Thomas von Aquin: „Das Staunen ist eine Sehnsucht nach Wissen.“

Ich wünsche euch viele begeisterte Momente des Staunens und viele Gelegenheiten, euch bei kindlichen Meistern in die Lehre zu begeben!

Birgit Ed(ublog)er(in)

Autor: Birgit Eder

Elementarpädagogin, die ursprünglich Verhaltensforscherin werden wollte und durch Zufall beruflich im Kindergarten gelandet ist, wo sie sich seit über 25 Jahren genau richtig fühlt!

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