
Gestern hat der bekannte deutsche Hirnforscher Gerald Hüther im Rahmen eines Vortrags (wieder einmal) in seiner beeindruckenden Art Klartext gesprochen und unter anderem folgendes gesagt: „Dass Kinder früher oder später die Freude am Lernen verlieren, ist kein Naturgesetz! Sie verlieren diese naturgegebene Freude, weil sie ihnen von Erwachsenen genommen wird, in dem ihnen jemand sagt: „Du kannst kein Mathe, du kannst nicht singen oder du bist unsportlich usw.“. Es ist also kein naturgegebener Vorgang, dass diese schier unbändige Freude am Lernen, wie wir sie von Kleinkindern kennen, einfach erlischt. Es sind ganz bestimmte Menschen, die uns im Verlauf unseres Lebens – meistens schon im Verlauf unserer Kindheit – dieser Freude berauben! Das, so Hüther, hat auch etwas mit Entwürdigung zu tun, indem der Mensch (das Kind) zum Objekt einer Bewertung gemacht wird, indem man ihm also sagt, dass er so, wie er ist, nicht passt. Und Menschen zum Objekt zu machen, sie also nicht als Subjekt (bedingungslos) anzuerkennen, bedeutet, sie ihrer Würde zu berauben. Und die Lust am Lernen bleibt dabei auf der Strecke….
Unter diesem Aspekt scheint mir das ständige Thema, wie eine „adäquate Schulvorbereitung“ auszusehen hätte, (in der Kinderkrippe wäre das dann wohl eine „adäquate Kindergartenvorbereitung“) nochmals mehr einer kritischen Betrachtung unterzogen werden zu müssen. Dieses Thema taucht bei jeder Gelegenheit wieder von Neuem auf und viele Elementarpädagoginnen sind nach wie vor verunsichert, was ihre Aufgabe und Rolle in dieser Thematik betrifft. Die Eltern wollen „das Beste“ für ihr Kind und haben daher den Anspruch an den Kindergarten, dass der Übertritt in die Schule reibungslos und erfolgreich funktioniert. Die Lehrer/innen setzen mit ihren Erwartungshaltungen dort an, wo die Kinder bestenfalls die Voraussetzungen mitbringen sollen, an die organisatorischen Strukturen der Schule, die ja häufig auch gleichzeitig die inhaltlichen Strukturen mitbestimmen, anzuschließen. Die Kindergartenpädagoginnen sehen sich von beiden Seiten (Eltern und Lehrer/innen) mit Erwartungshaltungen konfrontiert, hören die Botschaft, dass sie die Kinder bestens für die Schule „herrichten“ sollen, und übersehen in diesem Spannungsfeld häufig das Kind selbst. Spätestens dieser Zeitpunkt ist dann oft jener, wo Kinder zum Objekt gemacht werden (wenn das nicht bereits schon früher passiert ist, was auch nicht selten vorkommt) – zum Objekt der Schule und/oder auch zum Objekt der Eltern – wo sie dann erfahren, dass sie so, wie sie sind, nicht passend sind, dass da noch etwas besser – oder einfach nur schneller – gekonnt, mehr geübt oder gefördert werden müsste!
Ich plädiere daher dringend!!! dafür, dass…
…nicht die Kinder auf die Schule vorbereitet werden sollen, sondern dass sich die Schule auf die Kinder vorbereitet, die normalerweise mit einer überschäumenden Lern-Lust kommen und voller Fragen, Neugierde und Tatendrang sind,
…Elementarpädagoginnen und –pädagogen sich nicht selbst zum „Objekt anderer Interessen“ machen und unter dem Druck von Eltern und Lehrern Kinder zum „Objekt anderer Interessen“ machen und ihnen auf diese Weise viele Möglichkeiten verunmöglichen, die da noch gewesen wären,
…Elementarpädagoginnen und –pädagogen sowie Lehrer/innen keine „Pädagogik der Dressurakte“ mehr verfolgen, sondern sich eingehend damit auseinandersetzen, wie intrinsisch motiviertes Lernen funktioniert und wie ein passender Rahmen und eine dementsprechende „Kultur des Lernens“ in diesem Sinne sein müsste. Hierfür gilt es, sich als Pädagogin/Pädagoge Wissen UND ERFAHRUNGEN anzueignen, hierfür gilt es sich einzusetzen, wenn wir wollen, dass einer zukünftigen Gesellschaft bessere Möglichkeiten einer „weltschonenden“ Weiterentwicklung zur Verfügung stehen, als in der Vergangenheit und der Gegenwart!
Die eigene Würde zu behalten und anderen ihre Würde zu lassen ist – und das ist mir persönlich bei diesem Vortrag klar geworden – eine sehr unspektakuläre Entscheidung, die von jedem jederzeit getroffen werden kann und die in vielen Bereichen des täglichen Lebens ihren Ausgang nehmen kann – gerade auch in der Pädagogik.
Birgit Ed(ublog)er(in)